Erfahren Sie hier, was Tobsuchtsanfälle sind und wie man damit umgehen kann – nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen.
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Stellen Sie sich vor, Sie jonglieren zwischen beruflichen Verpflichtungen und dem Familienleben. Ihr Alltag ist geprägt von hektischen Terminen, Verantwortlichkeiten und dem ständigen Druck, alles unter Kontrolle zu halten. Jetzt ist ein eigentlich ganz normaler Abend. Während Sie versuchen, das Abendessen zuzubereiten, bemerken Sie, wie Ihre Nerven zum Zerreißen gespannt sind. Sie nehmen Innere Wut bei sich wahr. Ihre Kinder sitzen am Küchentisch, während Sie in der Küche jonglieren, um die Mahlzeit fertigzustellen. Sie suchen nach Zutaten, rühren in Töpfen und versuchen, den Zeitplan einzuhalten, um den Hunger Ihrer Familie zu stillen. Doch dann passiert es: Plötzlich gerät ein Topf von der Herdplatte und klirrt laut auf dem Boden. Der Stress des Tages, die Anspannung der Woche und die Herausforderungen des Familienlebens scheinen sich in diesem Moment zu entladen. Ohne es zu wollen, spüren Sie, wie sich Ihre Hände ballen. Noch bevor Sie es merken, werfen Sie aus Frust einen Löffel auf die Arbeitsplatte. In diesem Augenblick überkommt Sie eine Mischung aus Scham und Reue. Ihre Kinder schauen auf und sehen die Verzweiflung in Ihren Augen, die Sie normalerweise so gut zu verbergen versuchen.
Nach einer kurzen Atempause sammeln Sie sich und gehen zu Ihren Kindern, um sich zu entschuldigen. Sie erklären, dass Ihre Reaktion unangemessen war und dass der Stress Sie überwältigt hat. Ihre Kinder, die überrascht von Ihrer Offenheit sind, nicken verständnisvoll. Dieser Vorfall, der so unerwartet auftrat, war ein Weckruf für Sie. Er hat Ihnen verdeutlicht, wie wichtig es ist, Ihre Emotionen zu erkennen, bevor sie eskalieren, und Sie Wut kontrollieren lernen.
Tobsucht wird im Duden definiert als “ungezügelte, sich wild und ziellos austobende Wut, Zustand höchster Erregung, der sich in unbeherrschter, oft zielloser Aggressivität und Zerstörungswut äußert” (Dudenredaktion, o.J.). Oft werden diese Zustände im Volksmund auch Wutausbruch oder cholerische Anfälle genannt. Wichtig ist zu beachten, dass es sich bei Tobsuchtsanfällen um ein veraltetes medizinisches Konzept handelt. Trotzdem wird der Begriff in der Alltagssprache weiterhin verwendet.
Der Begriff Tobsucht wurde in der älteren Psychiatrie als Zustand von innerer Unruhe oder manischen Symptomen verwendet (Pelman, 1877). Heute findet er in der Psychiatrie und klinischen Psychologie keine Anwendung mehr. In der Alltagssprache wird dieser Begriff jedoch weiterhin genutzt. Zusätzlich können in der Definition der Tobsucht Parallelen zu den Beschreibungen von Wutanfällen und unkontrollierten Wutausbrüchen bzw. Wutanfälle bei hochsensiblen Erwachsenen gefunden werden. Gerade ein Zusammenhang mit Zuständen hoher Erregung ist auch bei Wutausbrüchen häufig vorzufinden (Giesbrecht et al., 2010).
Personen, die Tobsuchtsanfälle erleben, werden unterschiedliche Symptome zugeschrieben. Dazu gehören zum Beispiel:
Sie erkennen sofort, dass ähnliche Symptome auch Personen zugeschrieben werden, die einen Wutausbruch erleben oder Impulsives Verhalten zeigen. Wenn Sie die genannten Symptome bei sich oder jemandem in Ihrem Umfeld kennen, kann der nächste Abschnitt hilfreich für Sie sein.
Wenn Ihnen die oben beschriebene Situation bekannt vorkommt, kann es sein, dass Sie Tobsuchtsanfälle erleben, ob in Ihrem Umfeld oder bei Ihnen selbst. Wichtig ist, dass Sie mit diesem Problem nicht alleine sind und es Möglichkeiten gibt, hiermit umzugehen.
Wenn Sie selbst zu Tobsuchtsanfällen neigen, gibt es Möglichkeiten, wie Sie damit umgehen können. Dazu zählen Entspannungsübungen, Selbstreflexion, Anti-Aggressionstrainings oder ggf. auch weiterführende professionelle Hilfe. Hierauf wird im folgenden genauer eingegangen:
Sie können vorbeugend Übungen durchführen, die sie entspannen. Dabei bietet sich z.B. Progressive Muskelentspannung (Nickel et al., 2005), Yoga (Hagen et al., 2021), Meditation (Dua & Swinden, 1992), oder andere Entspannungsübungen (Perciavalle et al., 2017) an. So können Sie Ihren Stress abbauen und Ihre Erregung reduzieren.
Reflektieren Sie Ihr eigenes Verhalten. Hierzu kann es hilfreich sein, eine Art Tagebuch zu führen (Baikie & Wilhelm, 2018; Travagin et al., 2015), indem Sie Ihre Tobsuchtsanfälle reflektieren. Wie habe ich mich vor dem Tobsuchtsanfall gefühlt? Welche Gedanken haben mich an dem Tag beschäftigt? Wie habe ich mich nach dem Tobsuchtsanfall gefühlt?
Vielleicht kann es Ihnen auch helfen, die Wirkung Ihres Tobsuchtsanfalls mithilfe einer Pro-/Contra-Liste (Shechtman, 1999) zu reflektieren. Berücksichtigen Sie dabei sowohl kurzfristige, als auch langfristige Vorteile und Nachteile Ihres Tobsuchtsanfalls.
Diese Programme werden häufig verwendet, um jugendlichen Straftäter mit Ihrer Aggression zu helfen (Weidner, 2001). Hier kommen Methoden wie Rollenspiele und das Lernen von Empathiefähigkeit zum Einsatz. Wichtig ist dabei, dass Anti-Aggressionstrainings tatsächlich eher im Rahmen von Straftaten zum Einsatz kommen. Eventuell können jedoch trotzdem einige Elemente aus diesen Trainings für Sie relevant sein.
Es kann hilfreich sein, sich professionell beraten zu lassen und sich in Bezug auf Tobsucht coachen zu lassen, z.B. mithilfe einer Wut-Therapie oder eines Wut-Coachings.
Sie sind in engem Kontakt mit einer Person, die in Ihrer unmittelbaren Umgebung häufig in Tobsucht gerät. Oder Ihr Partner neigt zu Tobsuchtsanfällen. Dann sind folgende Punkte wichtig zu beachten. In akuten Phasen sollten Sie die nötige Distanz schaffen, für einen langfristigen Umgang ist aber eine klare Kommunikation als auch Selbstfürsorge wichtig. Hierzu im folgenden mehr:
Eine Person in Ihrem Umfeld gerät in Tobsuchtsanfälle. Hier ist es wichtig, dass Sie sich in akuten Fällen erstmal selbst schützen. Schaffen Sie ggf. physischen Abstand, so dass Sie sich sicher fühlen. Falls es nötig ist, holen Sie sich Hilfe.
Grundsätzlich ist wichtig, dass Sie Ihre Grenzen klar kommunizieren. Außerdem kann eine offene und respektvolle Kommunikation helfen. Zum Beispiel in einer Partnerschaft, in der häufig Tobsuchtsanfälle bei einem der Partner auftreten. Hier kann das Lernen, wie die Gefühle ohne Verletzung ausgedrückt werden, zu weniger Missverständnissen führen und die Beziehung stärken (Harris, 2009).
Wichtig ist auch, dass Sie Ihre Selbstfürsorge nicht außer Acht lassen, damit Ihr Selbstwert nicht unter den Tobsuchtsanfällen einer nahestehenden Person leidet. Nehmen Sie sich Zeit für sich selbst und planen Sie angenehme Aktivitäten.
Bei Tobsucht handelt es sich um einen aus der Psychiatrie und Klinischen Psychologie verdrängten Begriff, der ursprünglich einen Zustand von hoher Erregung und manischen Symptomen beschrieben hat. Heutzutage findet der Begriff Anwendung in der Alltagssprache. Wichtig ist aber, welche Symptome Sie erleben oder jemand in Ihrem Umfeld zeigt und hier gezielt zu intervenieren. Dabei können Entspannungsübungen, Distanz schaffen, klare Kommunikation, und in einigen Fällen auch professionelle Hilfe einen sinnvollen Beitrag leisten um diesem Problem Herr zu werden.
Baikie, K., & Wilhelm, K. (2005). Emotional and physical health benefits of expressive writing. Advances in Psychiatric Treatment, 11(5), 338-346. doi:10.1192/apt.11.5.33.
Dua, J. K., & Swinden, M. L. (1992). Effectiveness of negative-thought-reduction, meditation, and placebo training treatment in reducing anger. Scandinavian Journal of Psychology, 33, 135-146. https://doi.org/10.1111/j.1467-9450.1992.tb00893.x.
Dudenredaktion. (o.J.). Tobsucht. In Duden online. Abgerufen am 05. August 2023, von https://www.duden.de/node/183107/revision/1409197.
Giesbrecht, G. F., Miller, M. R., & Müller, U. (2010). The anger–distress model of temper tantrums: associations with emotional reactivity and emotional competence. Infant and child development, 19(5), 478-497. https://doi.org/10.1002/icd.677.
Hagen, I., Skjelstad, S. & Nayar, U. S. (2021). “I Just Find It Easier to Let Go of Anger”: Reflections on the Ways in Which Yoga Influences How Young People Manage Their Emotions. Frontiers in Psychology, 12. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.729588.
Harris, R. (2009). ACT with Love: Stop Struggling, Reconcile Differences, and Strengthen Your Relationship with Acceptance and Commitm. New Harbinger Publications.
Nickel, C., Lahmann, C., Tritt, K., Loew, T.H., Rother, W.K. and Nickel, M.K. (2005), Stressed aggressive adolescents benefit from progressive muscle relaxation: A random, prospective, controlled trial. Stress and Health, 21: 169-175. https://doi.org/10.1002/smi.1050.
Pelman, C. (1877). Kurze Uebersicht über den Stand der heutigen Psychiatrie. DMW-Deutsche Medizinische Wochenschrift, 3(30), 353-355. DOI: 10.1055/s-0029-1193956.
Perciavalle, V., Blandini, M., Fecarotta, P. et al. The role of deep breathing on stress. Neurol Sci 38, 451–458 (2017). https://doi.org/10.1007/s10072-016-2790-8.
Shechtman, Z. (1999). Bibliotherapy: An indirect approach to treatment of childhood aggression. Child psychiatry and human development, 30, 39-53. https://doi.org/10.1023/A:1022671009144
Spring, L., & Carlson, G. A. (2021). The phenomenology of outbursts. Child and Adolescent Psychiatric Clinics, 30(2), 307-319. https://doi.org/10.1016/j.chc.2020.10.003.
Travagin, G.,Margola, D., & Revenson, T. A. (2015). How effective are expressive writing interventions for adolescents? A meta-analytic review, Clinical Psychology Review, 36, 42-55. https://doi.org/10.1016/j.cpr.2015.01.003.
Weidner, J. (2001) AAT Anti-Aggressivitäts-Training für Gewalttäter: ein deliktspezifisches Behandlungsangebot im Jugendvollzug (5., akt. Aufl.) Forum-Verl.Godesberg: Mönchengladbach.
Katrin Hoster ist zertifizierte NLPlerin, Headcoach und einer der beiden Gründer der Wut Coaches. Als erfahrener Coach im Bereich Aggressionsbewältigung hat sie sich seit 2018 voll und ganz auf das Thema Wut und Aggression spezialisiert und kann auf einen großen Erfahrungsschatz mit mehreren 1000 Wut- und Aggressionsklienten zurück blicken.
Ferdinand Kirchhof ist Psychologe (M.Sc.). Er arbeitet bei den Wut Coaches als psychologischer und wissenschaftlicher Berater und seine Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Er ist der Co-Autor dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Autorin.
Kerstin Bickert ist Psychologin (B.Sc.) und Sozialpädagogin (B.A.). Sie arbeitet bei den Wut Coaches als psychologische und wissenschaftliche Beraterin und ihre Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Sie ist die Autorin dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Co-Autorin.