Auch hochsensible Erwachsene können unter Wutanfällen und Ausrastern leiden. Doch was steckt dahinter? Hier erfährt man mehr über Ursachen & den Umgang damit.
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Hand aufs Herz: Wann hatten Sie das letzte Mal einen Wutanfall? Versuchen Sie sich in diese Situation zurückzuversetzen. Haben Sie Ärger und Aggression gespürt? Vielleicht sind Sie nur an die Decke gegangen, weil Ihnen alles zu viel war. Es ist kein Zeichen von Schwäche oder ein Charakterdefekt, hin und wieder wütend zu werden. Vor allem, wenn Sie hochsensibel sind. Wenn Ihnen dies jedoch häufig passiert, stellen Sie sich wahrscheinlich folgende Frage: „Warum bin ich schneller gereizt und wütend als andere?”. Diese Frage ist in Ihrer Situation durchaus berechtigt. Viele hochsensible Erwachsene stellen fest, dass ihr Verhalten abweicht (Aron et al., 2012) oder nicht der Norm entspricht. Sie sind also nicht alleine. Was aber steckt nun hinter Ihren Wutanfällen? – Welche Gründe gibt es für unkontrollierte Wutausbrüche? Lesen Sie weiter und erfahren Sie mehr über die Gründe und dem Umgang mit Wut bei hochsensiblen Erwachsenen.
Falls Sie es noch nicht wussten. – Hochsensibilität wird der Persönlichkeit eines Menschen zugesprochen und kommt bei etwa 15 - 20 % der Bevölkerung vor (Ritter, 2017). Hochsensible Menschen, oder HSPs (Highly Sensitive Persons), reagieren bereits auf leichte Umgebungsreize mit einer starken Aktivierung des Nervensystems (Costa-López et al., 2021). Sie nehmen mehr Informationen auf und verarbeiten sie tiefer. – Doch was heißt das konkret?
Das sensiblere Empfinden von Reizen führt dazu, dass HSPs ihre Umwelt intensiver erleben (Williams et al., 2021). Dies kann sowohl die positiven als auch die negativen Seiten des Lebens einschließen (Williams et al., 2021). Sie nehmen kleinste Veränderung in ihrer Umgebung wahr, die anderen Menschen möglicherweise entgehen (Benham, 2006). Und sie sind anfälliger für Stimmungsschwankungen und emotionale Reaktionen (Choi & Jung, 2021). Dazu gehören auch Wut und Aggression (Benarous et al., 2023).
Wichtig!
Hochsensibilität ist keine Krankheit oder Störung. Sie ist eine normale Variation des menschlichen Temperaments. HSPs haben viele Stärken wie Empathie, Intuition, Offenheit und Kreativität (Jagiellowicz et al., 2020). Diese werden oft übersehen. Die Gesellschaft neigt dazu, sensible Charaktereigenschaften als Schwäche zu bewerten.
Mehr zum Thema erfahren Sie im Wut-Coaches-Podcast!
Hochsensibel und aggressiv … wie passt das zusammen? – Die Gründe für Wutanfälle bei hochsensiblen Erwachsenen können tatsächlich sehr unterschiedlich sein. Hochsensible Menschen fühlen sich leichter überwältigt (Drndarević et al., 2021). Sie können schneller als andere emotional und physisch ausbrennen (Golonka & Gulla, 2021). – Vielleicht kennen Sie die Situation, überfordert zu sein. Insbesondere in hektischen oder sozial anspruchsvollen Situationen. Bei vielen Menschen würde dies zu Stress oder leichter Gereiztheit führen. Doch diese Überstimulation kann gerade bei HSPs schnell in Frustration und Wut enden. Um aufkommende Wut und damit verbundene Aggression als Gegenüber schnell wieder einzufangen, können Deeskalationstraining-Übungen helfen, den hochsensiblen Erwachsenen wieder zurück in die Realität zu holen.
Viele Betroffene fühlen sich missverstanden oder abgelehnt, weil sie anders reagieren, als andere Menschen. Der Mangel an Verständnis anderer Menschen für Hochsensibilität kann ebenfalls einen Wutanfall auslösen. Auch unerfüllte Bedürfnisse und Erwartungen können zu Wut führen. – Doch wie genau? – HSPs haben oft hohe Ansprüche an sich selbst und andere. Sie werden enttäuscht und wütend, wenn Sie diese nicht erfüllen können. Sie können auch frustriert sein, weil sie ihre Reaktionen besser kontrollieren wollen oder "normaler" sein möchten.
Wut kann für hochsensible Menschen eine Herausforderung sein. – Kein Wunder! – Aber mit den richtigen Strategien ist es möglich, diese Emotionen effektiv zu handhaben. Hier finden Sie einige Tipps, die Ihnen helfen können:
Lernen Sie, Ihre eigenen Gefühle und Reaktionen zu verstehen. Wenn Sie wütend werden, ist dies meist ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Vielleicht hat Ihr Gefühl sogar recht und in der Situation, die Sie gerade erleben, ist tatsächlich etwas nicht in Ordnung. Sehen Sie Wut also nicht als etwas Negatives, sondern als ein Zeichen für das, was in Ihnen vorgeht.
Als hochsensibler Mensch brauchen Sie oft mehr Ruhe und Zeit für sich (Black & Kern, 2020). Teilen Sie Ihre Gefühle mit und setzen Sie klare Grenzen, um sich nicht überlastet zu fühlen. – Dies kann manchmal schwer fallen. Es verschafft Ihnen jedoch den Freiraum, den Sie benötigen.
Bekommen Sie Ihren Stress in den Griff. Viel Stress zu erleben ist generell nicht gerade hilfreich, wenn Sie ein Problem mit Wut haben. Entspannungsübungen wie Meditation (Bakker & Moulding, 2012), Yoga (Amemiya et al., 2020) oder tiefe Atmung (Hebert, 2016) können helfen, Ihr Nervensystem zu beruhigen (Re et al.,2012). Dadurch können Sie Wutanfälle vermeiden. Lernen Sie hier auch weitere Hausmittel gegen Aggressionen kennen.
Es ist wichtig, Wut auf eine gesunde Weise auszudrücken. Das kann durch Sport (Ilkim et al., 2018; Lafuente et al., 2021), Kunst, Schreiben (Kliewer et al., 2011) oder Gespräche mit Freunden geschehen. Finden Sie außerdem Wege, Ihren Unmut offen zu zeigen und ehrlich zu kommunizieren, was in Ihnen vorgeht.
Wenn Wut und Aggressionen Ihr Leben stark beeinträchtigen, kann es hilfreich sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Therapeut oder Coach, der sich mit Hochsensibilität auskennt, kann Ihnen helfen. Sie können lernen, besser mit Wut umzugehen und die zugrunde liegenden Probleme zu lösen. Erfahren Sie hier mehr zu Wut Therapie.
Im Wesentlichen sind Wutanfälle bei hochsensiblen Erwachsenen das Resultat von Überstimulation, Missverständnissen und unerfüllten Bedürfnissen. Es ist wichtig, diese emotionalen Reaktionen nicht zu stigmatisieren. Sie sollten sie als Teil Ihrer Hochsensibilität verstehen. Denken Sie daran, dass Wut nicht immer negativ ist – sie kann ein wertvoller Hinweis darauf sein, dass etwas in Ihrem Leben oder Ihrer Umgebung nicht stimmt und Veränderung benötigt.
Mit Selbstbewusstsein, klaren Grenzen und geeigneten Stressmanagement-Techniken können Hochsensible lernen, ihre Wut auf gesunde Weise zu handhaben. Diese Fähigkeit hat einen großen Einfluss auf Ihre Lebensqualität. Und das Beste daran: Fast jeder kann Sie mit etwas Engagement lernen!
Amemiya, R., Takahashi, G., Rakwal, R., Kahata, M., Isono, K., & Sakairi, Y. (2020). Effects of yoga in a physical education course on attention control and mental health among graduate students with high sensory processing sensitivity. Cogent Psychology, 7(1), 1778895. https://doi.org/10.1080/23311908.2020.1778895.
Aron, E. N., Aron, A., & Jagiellowicz, J. (2012). Sensory processing sensitivity: A review in the light of the evolution of biological responsivity. Personality and Social Psychology Review, 16(3), 262-282. https://doi.org/10.1177/1088868311434213.
Bakker, K., & Moulding, R. (2012). Sensory-processing sensitivity, dispositional mindfulness and negative psychological symptoms. Personality and individual differences, 53(3), 341-346. https://doi.org/10.1016/j.paid.2012.04.006.
Benarous, X., Guilé, J. M., Cravero, C., Ferrafiat, V., Marianna, G., & Cohen, D. (2022). Sensory Processing Dysfunction in Youths with Chronic Anger and Aggression. Handbook of Anger, Aggression, and Violence, 1-23. https://doi.org/10.1007/978-3-030-98711-4_165-1.
Benham, G. (2006). The highly sensitive person: Stress and physical symptom reports. Personality and individual differences, 40(7), 1433-1440. https://doi.org/10.1016/j.paid.2005.11.021.
Black, B. A., Kern, M. L. (2020). A qualitative exploration of individual differences in wellbeing for highly sensitive individuals. Palgrave Commun 6, 103. https://doi.org/10.1057/s41599-020-0482-8.
Choi, Y. E., & Jung, H. (2021). Sensory processing as a predictor of leisure participation in early adolescents. Children, 8(11), 1005. https://doi.org/10.3390/children8111005.
Costa-López, B., Ferrer-Cascales, R., Ruiz-Robledillo, N., Albaladejo-Blazquez, N., & Baryła-Matejczuk, M. (2021). Relationship between sensory processing and quality of life: A systematic review. Journal of clinical medicine, 10(17), 3961. https://doi.org/10.3390/jcm10173961.
Drndarević, N., Protić, S., & Mestre, J. M. (2021). Sensory-Processing Sensitivity and Pathways to Depression and Aggression: The Mediating Role of Trait Emotional Intelligence and Decision-Making Style—A Pilot Study. International journal of environmental research and public health, 18(24), 13202. https://doi.org/10.3390/ijerph182413202.
Golonka, K., & Gulla, B. (2021). Individual differences and susceptibility to burnout syndrome: Sensory processing sensitivity and its relation to exhaustion and disengagement. Frontiers in psychology, 12, 751350. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.751350.
Hebert, K. R. (2016). The association between sensory processing styles and mindfulness. British Journal of Occupational Therapy, 79(9), 557-564. https://doi.org/10.1177/0308022616656872.
Ilkim, M., Tanir, H., Özdemir, M., & Bozkurt, İ. (2018). The effect of physical activity on level of anger among individuals with autism. Turkish Journal of Sport and Exercise, 20(3), 216-219. https://doi.org/10.15314/tsed.446092.
Jagiellowicz, J., Zarinafsar, S., & Acevedo, B. P. (2020). Health and social outcomes in highly sensitive persons. The highly sensitive brain, 75-107. https://doi.org/10.1016/B978-0-12-818251-2.00004-7.
Kliewer, W., Lepore, S. J., Farrell, A. D., Allison, K. W., Meyer, A. L., Sullivan, T. N., & Greene, A. Y. (2011). A school-based expressive writing intervention for at-risk urban adolescents' aggressive behavior and emotional lability. Journal of Clinical Child & Adolescent Psychology, 40(5), 693-705. https://doi.org/10.1080/15374416.2011.597092.
Lafuente, J. C., Zubiaur, M., & Gutiérrez-García, C. (2021). Effects of martial arts and combat sports training on anger and aggression: A systematic review. Aggression and Violent Behavior, 58, 101611. https://doi.org/10.1016/j.avb.2021.101611.
Re, P., McConnell, J. W., Reidinger, G., Schweit, R., & Hendron, A. (2014). Effects of yoga on patients in an adolescent mental health hospital and the relationship between those effects and the patients' sensory‐processing patterns. Journal of Child and Adolescent Psychiatric Nursing, 27(4), 175-182. https://doi.org/10.1111/jcap.12090.
Ritter, A. (2017). Hochsensibilität: Mit feinem Gespür. Schweizer Ärztetag, 98(5152), 1750-1752. https://doi.org/10.4414/saez.2017.06299.
Williams, J. M., Carr, M., & Blagrove, M. (2021). Sensory processing sensitivity: Associations with the detection of real degraded stimuli, and reporting of illusory stimuli and paranormal experiences. Personality and Individual Differences, 177, 110807. https://doi.org/10.1016/j.paid.2021.110807.
Katrin Hoster ist zertifizierte NLPlerin, Headcoach und einer der beiden Gründer der Wut Coaches. Als erfahrener Coach im Bereich Aggressionsbewältigung hat sie sich seit 2018 voll und ganz auf das Thema Wut und Aggression spezialisiert und kann auf einen großen Erfahrungsschatz mit mehreren 1000 Wut- und Aggressionsklienten zurück blicken.
Ferdinand Kirchhof ist Psychologe (M.Sc.). Er arbeitet bei den Wut Coaches als psychologischer und wissenschaftlicher Berater und seine Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Er ist der Co-Autor dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Autorin.
Kerstin Bickert ist Psychologin (B.Sc.) und Sozialpädagogin (B.A.). Sie arbeitet bei den Wut Coaches als psychologische und wissenschaftliche Beraterin und ihre Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Sie ist die Autorin dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Co-Autorin.