Was ist passiv-aggressives Verhalten? Erfahren Sie hier mehr über die Bedeutung, die Definition & konkrete Beispiele dieses besonderen Verhaltens.
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Der Begriff “passiv-aggressiv” entstand während des Zweiten Weltkriegs (Wetzler & Morey, 2016). Ein Oberst der US-Armee beobachtete bei Soldaten eine Reaktion auf militärischen Stress. Diese Reaktion bestand aus Passivität, Hilflosigkeit oder sie zeigten unkontrollierte Wutausbrüche bzw. Wutanfälle. Etwa 6 % der Soldaten wurden mit der Diagnose “passiv-aggressiv” im Militärkrankenhaus behandelt.
In der Folge wurde die Diagnose der passiv-aggressiven Persönlichkeit in das klinische Kodiersystem DSM-I (Diagostic and Statistical Manual of Mental Disorders 1, herausgegeben durch die American Psychiatric Association) aufgenommen. Allerdings wurde die Diagnose der neueren Version DSM-IV entfernt. Dies geschah, da sich in wissenschaftlichen Studien mehrere Faktoren gezeigt haben, die gegen die Diagnose der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung sprechen (z.B. geringe Prävalenz, häufige Überschneidung mit anderen Persönlichkeitsstörungen, statistische Kriterien zeigen keine ausreichende empirische Evidenz) (Czajkowski et al., 2008).
Es ist wichtig anzumerken, dass es umstritten ist, ob passiv-aggressives Verhalten tatsächlich eine Persönlichkeitsstörung darstellt. In aktuelleren Fassungen des DSM ist sie deshalb, wie bereits erwähnt, nicht mehr aufgeführt. Einige Personen fragen sich vielleicht: “Was ist Aggression?". Wenn jemand Probleme mit Aggression hat, stellt die Person sich aber vielleicht die Frage: “Warum werde ich so schnell aggressiv”.
Daran schließt sich schnell die Frage an, ob das aggressive Verhalten vielleicht auch latent aggressive oder passiv-aggressive Merkmale beinhaltet. Dazu wollen wir uns im nächsten Absatz ansehen, wie passiv-aggressives Verhalten definiert wird.
Im Verhalten macht sich die passiv-aggressive Persönlichkeit vor allem durch einen stupiden Widerstand gegen die Erfüllung von Erwartungen bemerkbar (McCann, 1988). Es zeigt sich ein allgegenwärtiges Muster negativer Haltung und passivem Widerstand gegen Forderungen nach angemessener Leistung (American Psychiatric Association, 1994). Hopwood und Wright (2012) sind in ihrer Definition präziser. Sie beschreiben drei mögliche Merkmale der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung:
Bei der Konzeptualisierung der passiv-aggressiven Persönlichkeit spielen sowohl unbewusste Motivationsfaktoren als auch bewusst wahrnehmbare Beziehungsschwierigkeiten und das Selbstbewusstsein eine wichtige Rolle (Lewis et al., 2020). Auf diese Faktoren werden wir im Abschnitt “Wie äußert sich passiv-aggressives Verhalten?” näher eingehen. Zunächst wollen wir jedoch einen Blick auf mögliche Ursachen von passiv-aggressivem Verhalten werfen.
Eine Ursache für passiv-aggressives Verhalten wird in der Entwicklung in der Kindheit angenommen. Es wird vermutet, dass insbesondere Personen zu passiv-aggressivem Verhalten neigen, bei denen die Bezugspersonen bestrafend auf Wutausbrüche, Weigerung der Unterwerfung und Autonomiebestrebungen des Kindes reagiert haben (Benjamin, 1996). Auch Störungen in den Beziehungen des Kindes zu Autoritätspersonen (z.B. Beeinträchtigung der Durchsetzungsfähigkeit) können eine Ursache für passiv-aggressives Verhalten sein (Hopwood et al., 2009).
Ob es familiäre Ursachen für die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung gibt, ist nicht abschließend geklärt. So konnte in einer Studie kein Einfluss von Verwandtschaft oder Genen gefunden werden (Torgersen et al., 2000). In einer anderen Studie konnte wiederum ein genetischer Faktor als auch ein Umweltfaktor gefunden werden (Czajkowski et al., 2008). Allerdings war die Anzahl der Probanden in dieser Studie gering, so dass das Ergebnis kritisch zu betrachten ist. Weitere Forschung ist notwendig, um genauere Aussagen treffen zu können.
Das passiv-aggressive Verhalten kann sich in bewusst wahrnehmbaren Beziehungsschwierigkeiten manifestieren. In diesem Fall ist es möglich, dass es dazu kommt, dass die Person eine ausbeuterische Dominanz durch andere wahrnimmt. Dies wiederum kann zu einem wütenden Affekt führen (Hopwood, 2018; Hopwood et al., 2021).
Wenn eine Person passiv-aggressives Verhalten zeigt, kann es zu unbewussten Motivationskonflikten kommen. Ein Beispiel hierfür wäre ein Konflikt zwischen Handlungsfähigkeit und Gemeinschaft. Jeder Mensch möchte in seinem Leben handlungsfähig sein und sich gleichzeitig sozial zugehörig fühlen. Dieser Konflikt wird dann häufig durch nonkonformes, passiv-aggressives Verhalten gelöst (Hopwood, 2018; Hopwood et al., 2021).
Wenn eine Person nicht-konformes Verhalten zeigt, löst dies häufig eine wütende Reaktion beim Gegenüber aus. Handelt es sich dabei um eine Autoritätsperson (z.B. einen Vorgesetzten im Job), wird diese Person wahrscheinlich dominant reagieren. Dies wiederum verringert das Selbstbewusstsein der passiv-aggressiven Person und der Ursprung des Musters “Ich werde von anderen ausbeuterisch dominiert” verstärkt sich (Hopwood, 2018; Hopwood et al., 2021).
Das nonkonforme Verhalten im Sinne unbewusster Motivationskonflikte kann zu einer bestimmten Kommunikation führen. Dabei können Sätze fallen, die für passiv-aggressive Personen charakteristisch sind. Beispielhaft dafür sind folgende Sätze (Pfersdorf, 2019):
Hier möchten wir Ihnen eine Situation aus dem Arbeitsleben vorstellen, in der ein Mitarbeiter passiv-aggressives Verhalten zeigt:
Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einem großen Unternehmen. Fachlich verfügen Sie über alle Kompetenzen, die für Ihren Job erforderlich sind. Dennoch haben Sie oft das Gefühl, dass Ihre Arbeit und Ihre Meinung von Ihren Vorgesetzten nicht angemessen gewürdigt werden.
Jeden Morgen, wenn Sie ins Büro kommen, versuchen Sie ein freundliches Lächeln aufzusetzen. Doch innerlich brodelt die Frustration. Sie fühlen sich in Ihrer Position nicht ausreichend gewürdigt. Außerdem grübeln Sie ständig darüber, wie Ihr Vorgesetzter und einige Kollegen Sie ungerecht und respektlos behandeln. Um dem entgegenzuwirken, haben Sie einen Weg gefunden, Ihrem Ärger Luft zu machen. Sie schieben zum Beispiel wichtige Projektaufgaben bis zur letzten Minute auf, obwohl es ausreichend Zeit gegeben hätte, diese rechtzeitig zu erledigen.
Im Umgang mit Ihrem Chef fühlen Sie sich oft klein und unbedeutend. Es fällt Ihnen schwer, über Ihre Bedenken zu sprechen. Stattdessen drücken Sie Ihre Enttäuschung indirekt aus. Zum Beispiel schweigen Sie häufig in Besprechungen, so dass wichtige Informationen nicht geteilt werden. Das kann sich natürlich negativ auf das Team und das Projekt auswirken.
Sie sehen, dass sich passiv-aggressives Verhalten auf ganz subtile Art zeigen kann, aber auch mit möglichen Konsequenzen einhergeht. Ein Wirtschaftswissenschaftler konnte typische passiv-aggressive Taktiken im Verhalten identifizieren (Pfersdorf, 2019). Dazu zählen laut des Wirtschaftswissenschaftlers:
Es ist jedoch zu beachten, dass es sich hierbei nicht um empirisch erforschte Taktiken handelt, sondern um einzelne Beobachtungen aus dem Büroalltag.
Wie bereits erwähnt, beinhaltet die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung negative Gedanken. Diese werden im Rahmen der Verhaltenstherapie häufig validiert und Verzerrungen der Gedanken herausgearbeitet (Yanes et al., 2010). Es ist jedoch anzumerken, dass die Diagnose der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung in der aktuellen Fassung des DSM-5 nicht mehr vorhanden ist. Außerdem ist diese Störung sehr selten. Vielleicht erkennen Sie einige der genannten Symptome auch an sich selbst - wobei an dieser Stelle kein vollständiger Krankheitswert vorliegt. Dann können vielleicht auch andere Mittel als eine Therapie helfen. Wenn ein Krankheitswert vorliegt, der eine Psychotherapie indiziert, können Sie mit Ihrem Hausarzt, einem Psychiater oder Psychotherapeuten sprechen. Wenn dies nicht der Fall ist, können gegebenenfalls die folgenden Mittel helfen:
Vielleicht kennen Sie einzelne Symptome bei sich, die auch zur passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung gehören. Hier kann Ihnen eventuell ein Wut-Coaching oder eine Wut-Therapie helfen. Ein Wut-Coach ist darauf spezialisiert, Menschen bei Aggressions- und Wutproblemen zu helfen. Häufig werden diese Coachings auch online angeboten, was sich oft gut mit Beruf und Familie vereinbaren lässt.
Auch der konstruktive Abbau von Aggressionen kann hilfreich sein. Jetzt fragen Sie sich bestimmt: Aber wie geht das? Hier haben sich verschiedene Methoden bewährt. Unter anderem können Meditation (Fennell et al., 2016; Hagelin et al., 1999) oder Entspannungstechniken (İçel & Başoğul, 2021) oder Atemübungen (Brondolo et al., 1997) helfen.
Unter passiv-aggressiv versteht man eine negative Haltung und passiven Widerstand gegen Forderungen nach angemessener Leistung. Das Konzept im Sinne einer passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung hat sich in der wissenschaftlichen Forschung als nicht haltbar erwiesen. Es ist jedoch möglich, dass Menschen Symptome zeigen, die als passiv-aggressiv eingestuft werden könnten. Hier gibt es verschiedene Interventionsmöglichkeiten, wie z.B. ein Wut-Coaching oder die Möglichkeit, selbständig Aggressionen abzubauen.
American Psychiatric Association (1994). DSM-IV-TR: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. American Psychiatric Publishing Inc.
Brondolo, E., DiGiuseppe, R. & Tafrate, R. C. (1997) Exposure-Based Treatment for Anger Problems: Focus on the Feeling. Cognitive and Behavioral Practice, 4, 75-98. https://doi.org/10.1016/S1077-7229(97)80013-2.
Czajkowski, N., Kendler, K. S., Jacobson, K. C., Tambs, K., Røysamb, E., & Reichborn-Kjennerud, T. (2008). Passive-aggressive (negativistic) personality disorder: a population-based twin study. Journal of personality disorders, 22(1), 109-122. https://doi.org/10.1521/pedi.2008.22.1.109.
Fennell, A. B., Benau, E. M. & Atchley, R. A. (2016). A single session of meditation reduces of physiological indices of anger in both experienced and novice meditators. Consciousness and Cognition, 40, 54–66. https://doi.org/10.1016/j.concog.2015.12.010.
Hagelin, J. S., Rainforth, M., Cavanaugh, K. L., Alexander, C. P., Shatkin, S. F., Davies, J., Hughes, A. E., Ross, E. R. & Orme-Johnson, D. W. (1999). Effects of Group Practice of the Transcendental Meditation Program on Preventing Violent Crime in Washington, D.C.: Results of the National Demonstration Project, June--July 1993. Social Indicators Research, 47(2), 153–201. https://doi.org/10.1023/a:1006978911496.
Hopwood, C. J., Morey, L. C., Markowitz, J. C., Pinto, A., Skodol, A. E., Gunderson, J. G., Zanarini, M. C., Shea, M. T., Yen, S., McGlashan, T. H., Ansell, E. B., Grilo, C. M., & Sanislow, C. A. (2009). The construct validity of passive-aggressive personality disorder. Psychiatry: Interpersonal and Biological Processes, 72(3), 256–267. https://doi.org/10.1521/psyc.2009.72.3.256.
Hopwood, C. J., & Wright, A. G. (2012). A comparison of passive aggressive and negativistic personality disorders. Journal of Personality Assessment, 94(3), 296–303. https://doi.org/10.1080/00223891.2012.655819.
Hopwood, C. J. (2018). Interpersonal Dynamics in Personality and Personality Disorders. European Journal of Personality, 32(5), 499–524. https://doi.org/10.1002/per.2155.
Hopwood, C. J., Pincus, A. L., & Wright, A. G. (2021). Six assumptions of contemporary integrative interpersonal theory of personality and psychopathology. Current Opinion in Psychology, 41, 65-70. https://doi.org/10.1016/j.copsyc.2021.03.007.
İçel, S. & Başoğul, C. (2021). Effects of progressive muscle relaxation training with music therapy on sleep and anger of patients at Community Mental Health Center. Complementary Therapies in Clinical Practice, 43, 101338. https://doi.org/10.1016/j.ctcp.2021.101338.
Lewis, K. C., Ridenour, J. M., Pitman, S., & Roche, M. (2021). Evaluating stable and situational expressions of passive-aggressive personality disorder: A multimethod experience sampling case study. Journal of personality assessment, 103(4), 558-570. https://doi.org/10.1080/00223891.2020.1818572.
McCann, J. T., (1988). Passiv-aggressive Personality Disorder: A Review. Journal of Personality Disorder, 2(2), 170-179. 10.1097/NMD.0000000000001044.
Pfersdorf, S. (2019). Passiv-aggressiv? Psychologie heute. https://www.psychologie-heute.de/gesellschaft/artikel-detailansicht/39814-passiv-aggressiv.html.
Torgersen, S., Lygren, S., Oien, P. A., Skre, I., Onstad, S., Edvardsen, J., Tambs, K., & Kringlen, E. (2000). A twin study of personality disorders. Comprehensive psychiatry, 41(6), 416–425. https://doi.org/10.1053/comp.2000.16560.
Wetzler, S., & Morey, L. C. (1999). Passive-aggressive personality disorder: The demise of a syndrome. Psychiatry, 62(1), 49-59. https://doi.org/10.1080/00332747.1999.11024851.
Yanes, P. K., Tiffany, S. T., & Roberts, J. E. (2010). Cognitive Therapy for Co-Occurring Depression and Behaviors Associated With Passive-Aggressive Personality Disorder. Clinical Case Studies, 9(5), 369–382. doi:10.1177/1534650110383307.
Katrin Hoster ist zertifizierte NLPlerin, Headcoach und einer der beiden Gründer der Wut Coaches. Als erfahrener Coach im Bereich Aggressionsbewältigung hat sie sich seit 2018 voll und ganz auf das Thema Wut und Aggression spezialisiert und kann auf einen großen Erfahrungsschatz mit mehreren 1000 Wut- und Aggressionsklienten zurück blicken.
Ferdinand Kirchhof ist Psychologe (M.Sc.). Er arbeitet bei den Wut Coaches als psychologischer und wissenschaftlicher Berater und seine Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Er ist der Co-Autor dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Autorin.
Kerstin Bickert ist Psychologin (B.Sc.) und Sozialpädagogin (B.A.). Sie arbeitet bei den Wut Coaches als psychologische und wissenschaftliche Beraterin und ihre Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Sie ist die Autorin dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Co-Autorin.