Das Hormon Testosteron steht häufig in der Verbindung aggressiv zu machen. Doch stimmt das auch wirklich? Hier erfährst du es.
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Testosteron ist das wohl bekannteste, primär mit dem männlichen Geschlecht assoziierte Hormon. Häufig wird es mit Aggression und unkontrolliertem Verhalten, wie Impulsivität, Jähzorn oder Wutausbrüchen, in Verbindung gebracht. In der populären Vorstellung ist Testosteron das “Kampfhormon”, das Männer in einen Zustand ständiger Reizbarkeit versetzt. Gewalt (Gessat, 2016), toxische Männlichkeit (ZDF, 2024) und unbeherrschte Handlungen seien die Folge von Testosteron und werden in den Medien verbreitet. Besonders in Filmen und Serien wird Testosteron häufig als der entscheidende Auslöser für aggressive Auseinandersetzungen und Konflikte dargestellt. Nehmen Sie als Beispiel den Film “Fight Club” von David Fincher. Diese stereotype Darstellung kann dazu beitragen, dass das Hormon in der öffentlichen Wahrnehmung oft als Synonym für aggressives oder dominantes Verhalten gilt.
Doch wie viel Wahrheit steckt hinter diesem Mythos? Hat Testosteron tatsächlich einen direkten Einfluss auf unsere Aggressionsbereitschaft, oder ist das nur ein weit verbreitetes Missverständnis? Kommt es tatsächlich durch Testosteron zu vermehrten unkontrollierten Wutausbrüchen bei Männern? In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, ob Testosteron wirklich aggressiv macht, oder ob diese Annahme nur ein weit verbreitetes Missverständnis ist. Wir werfen einen Blick auf aktuelle wissenschaftliche Studien und betrachten die komplexen Wechselwirkungen zwischen Hormonspiegel, Verhalten und äußeren Einflüssen. Dabei wollen wir gängige Vorurteile entkräften und ein differenziertes Bild davon vermitteln, wie Testosteron tatsächlich auf unser Verhalten wirken kann. Aber zunächst wollen wir einen Blick darauf werfen, was Testosteron überhaupt ist.
Testosteron ist ein wichtiges Sexualhormon und gehört zur Gruppe der Steroidhormone. Es zählt zu den wichtigsten Androgenen, also Hormonen, die maßgeblich die Entwicklung männlicher Geschlechtsmerkmale steuern. Das Hormon wird hauptsächlich in den Hoden, aber auch in den Eierstöcken und in der Nebennierenrinde produziert (DocCheck Flexikon, 2024). Testosteron spielt eine zentrale Rolle bei der sexuellen Reifung des Mannes und ist entscheidend für die Entwicklung männlicher Merkmale wie etwa die Vertiefung der Stimme und das Wachstum von Körperbehaarung (Kanakis et al., 2019).
Auch bei Frauen ist Testosteron ein essenzielles Hormon mit weitreichenden physiologischen Auswirkungen. Es wird teilweise in Östrogen umgewandelt, was unter anderem Einfluss auf die Knochengesundheit und Knochendichte hat (Tyagi et al., 2017). Trotz dieser Bedeutung gibt es jedoch weniger Forschung zu den Auswirkungen von Testosteronmangel und -therapie bei Frauen (Davis & Wahlin-Jacobsen, 2015).
Testosteron ist weiter für zahlreiche körperliche Funktionen verantwortlich. Es spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung des männlichen Phänotyps und ist entscheidend für das Wachstum und den Aufbau von Muskelmasse sowie die Regulierung der Fettverteilung. Ein Testosteronmangel wird häufig mit einer erhöhten Ansammlung von Körperfett in Verbindung gebracht (Kelly & Jones, 2013). Darüber hinaus ist Testosteron für die Spermatogenese, also die Produktion von Spermien, unerlässlich.
Neben diesen klassischen Funktionen wird Testosteron zunehmend auch in anderen Bereichen untersucht. Es scheint eine Rolle bei der Schmerzempfindung, dem allgemeinen Wohlbefinden sowie der Funktion des Herz-Kreislaufsystems zu spielen. Auch für die psychische Gesundheit hat Testosteron eine wichtige Bedeutung: Ein Mangel an Testosteron kann mit Symptomen wie Konzentrationsstörungen, depressiven Verstimmungen, Libidoverlust und verminderter Energie in Verbindung gebracht werden (Nieschlag & Behre, 2009).
Mit diesem Überblick über die zentrale Rolle und Funktionen von Testosteron wenden wir uns nun dem nächsten Thema zu: dem möglichen Zusammenhang zwischen Testosteron und Aggression.
Wir haben uns bereits in der Einleitung Zusammenhänge angeschaut, die Vorurteilshaft häufig Testosteron und Aggressivität zugesprochen werden. Es wurde das generelle Aggressionslevel, die Aggressionsbereitschaft und unkontrollierte Wutausbrüche bei Männern genannt, was nur einige der vielen stereotypen Vorstellungen sind. Gibt es wissenschaftliche Belege für solche Zusammenhänge, oder handelt es sich um weit verbreitete Missverständnisse?
Es gibt Hinweise dafür, dass Testosteron bei einigen Tierarten tatsächlich aggressionsfördernd wirkt. So wurden in einer Studie beide Hoden bei männlichen Hühnern im Alter von 2 bis 3 Monaten entfernt. Dadurch wurde nicht nur die Entwicklung von sekundären Geschlechtsmerkmalen verhindert, sondern vor allem die des aggressiven Verhaltens (Berthold & Quiring, 1944). Wenn die Hoden eines anderen Huhnes anschließend transplantiert wurden, entwickelte sich das aggressive Verhalten normal. Auch an anderen Tieren, wie Mäusen, fanden solche Tierversuche statt. Die verringerte Aggressivität nach Kastration legt nahe, dass das Hormon auch beim Menschen Verhalten modulieren könnte (Geniole et al., 2020).
Es ist zu einer allgemein verbreiteten Laienüberzeugung gekommen, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen auch auf Menschen angewendet werden können (Eisenegger et al., 2010). Mit vereinzelten Studien stimmen diese Annahmen überein. So konnte herausgefunden werden, dass demografische Gruppen, die tendenziell aggressiver sind (z.B. 15- bis 29-jährige Männer) haben höhere Testosteronkonzentrationen als andere demografische Gruppen (z.B. Frauen, ältere Männer, Handelsman et al., 2016).
Im Weiteren wurden allerdings direktere Gruppen untersucht. So wurden Straftäter mit und ohne gewalttätige Verbrechen, die inhaftiert wurden, untersucht. Außerdem wurden Korrelationen zwischen Testosteron und Aggression innerhalb bestimmter Stichproben erhoben. Hier ergaben sich gemischte und nur schwache Zusammenhänge. Diese Ergebnisse wurden 2005 in einer Metaanalyse zusammengefasst. Es ergab sich ein signifikanter, aber geringer Zusammenhang (r = 0.08) zwischen Testosteron und menschlicher Aggression (Archer et al., 2005). Experimentelle Ansätze mit pharmakologischer Injektion von Testosteron konnten keine kausalen Zusammenhänge zwischen Testosteron und menschlicher Aggression finden (O'Connor et al., 2004).
Nun kann man sich fragen, wieso die Zusammenhänge zwischen Testosteron und Aggression nicht vorhanden bzw. so gering sind. Hier wird vermutet, dass in den Studien der Einfluss von sozialen, kulturellen und psychologischen Faktoren unberücksichtigt blieb. So folgt aggressives Verhalten häufig nach Provokation (Groves & Anderson, 2016). Auch bestimmte Persönlichkeitseigenschaften können einen Einfluss haben, wie aggressiv jemand reagiert. So konnte eine Studie zeigen, dass Testosteron aggressives Verhalten bei Männern mit dominantem oder impulsivem Persönlichkeitsstil verstärken kann (Carré et al., 2017). In einer Studie konnten Assoziationen mit der moderierenden Variable des kulturellen Selbstkonzeptes festgestellt werden. Hier spielt die Art und Weise, wie Individuen ihr Selbst in Bezug auf andere definieren, eine Rolle für die Beziehung zwischen Testosteron und aggressivem Verhalten (Welker et al., 2017). Kein Zusammenhang wurde festgestellt zwischen Testosteron, Aggression und Substanzen wie Alkohol (Pahlen et al., 2002).
In der Unterscheidung zwischen Männern und Frauen konnte festgestellt werden, dass die geringen Einflüsse von Testosteron auf Aggression zusätzlich durch das Geschlecht moderiert wurden. So führten Veränderungen im Testosteronspiegel bei Männern zu einem signifikanten aber geringen Anstieg von aggressivem Verhalten (r = 0.16), bei Frauen zeigte sich kein signifikanter Effekt (Geniole et al., 2020).
Wie Sie vielleicht merken: Es ist wichtig zu betonen, dass Testosteron nicht allein für aggressives Verhalten verantwortlich ist. Der Mythos, dass Testosteron direkt zu Wutausbrüchen und Gewalt führt, wird oft in den Medien verbreitet, aber ist nicht durch wissenschaftliche Beweise gestützt. Aggression ist das Ergebnis eines Zusammenspiels vieler Faktoren, bei denen Testosteron nur eine von vielen Einflussgrößen darstellt.
Impulsivität, Wutausbrüche und Gewalt bringen Laien schnell mit Testosteron in Verbindung. Wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass der Zusammenhang zwischen Testosteron und Aggression komplex ist und nicht so eindeutig wie oft angenommen wird. Tierversuche und einige menschliche Studien deuten darauf hin, dass Testosteron in bestimmten Kontexten ein aggressives Verhalten beeinflussen kann. Allerdings sind die Zusammenhänge zwischen Testosteron und menschlicher Aggression schwach und von sozialen, kulturellen und psychologischen Faktoren abhängig. Aggression ist das Ergebnis eines Zusammenspiels vieler Faktoren und Testosteron stellt nur eine von vielen Einflussgrößen dar.
Archer, J., Graham-Kevan, N., & Davies, M. (2005). Testosterone and aggression: A reanalysis of Book, Starzyk, and Quinsey's (2001) study. Aggression and violent behavior, 10(2), 241-261. https://doi.org/10.1016/j.avb.2004.01.001.
Berthold, A. A., & Quiring, D. P. (1944). The transplantation of testes. Bulletin of the History of Medicine, 16(4), 399-401.
DocCheck Flexikon. (2024). Testosteron. Abgerufen am 16.11.2024 von: https://flexikon.doccheck.com/de/Testosteron.
Eisenegger, C., Naef, M., Snozzi, R., Heinrichs, M., & Fehr, E. (2010). Prejudice and truth about the effect of testosterone on human bargaining behaviour. Nature, 463(7279), 356-359. https://doi.org/10.1038/nature08711.
Geniole, S. N., Bird, B. M., McVittie, J. S., Purcell, R. B., Archer, J., & Carré, J. M. (2020). Is testosterone linked to human aggression? A meta-analytic examination of the relationship between baseline, dynamic, and manipulated testosterone on human aggression. Hormones and behavior, 123, 104644. https://doi.org/10.1016/j.yhbeh.2019.104644.
Gessat, M. (2016). Testosteron macht aggressiv, aber auch großzügig. Deutschlandfunk. Abgerufen am 16.11.2024 von: https://www.deutschlandfunk.de/paradoxes-hormon-testosteron-macht-aggressiv-aber-auch-100.html.
Handelsman, D. J., Sikaris, K., & Ly, L. P. (2016). Estimating age-specific trends in circulating testosterone and sex hormone-binding globulin in males and females across the lifespan. Annals of clinical biochemistry, 53(3), 377-384. https://doi.org/10.1177/000456321561058.
Kanakis, G. A., Tsametis, C. P., & Goulis, D. G. (2019). Measuring testosterone in women and men. Maturitas, 125, 41-44. https://doi.org/10.1016/j.maturitas.2019.04.203.
Kelly, D. M., & Jones, T. H. (2013). Testosterone: a metabolic hormone in health and disease. Journal of Endocrinology, 217(3), R25-R45. Retrieved Nov 16, 2024, from https://doi.org/10.1530/JOE-12-0455.
Nieschlag, E., Behre, H.M. (2009). Therapie mit Testosteron. In: Nieschlag, E., Behre, H.M., Nieschlag, S. (eds) Andrologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-92963-5_21.
O'Connor, D. B., Archer, J., & Wu, F. C. W. (2004). Endocrine Care-Of Special Interest to the Practice of Endocrinology-Effects of Testosterone on Mood, Aggression, and Sexual Behavior in Young Men: A Double-Blind, Placebo-Controlled, Cross-Over. Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, 89(6), 2837-2845. https://doi.org/10.1210/jc.2003-031354
Tyagi, V., Scordo, M., Yoon, R. S., Liporace, F. A., & Greene, L. W. (2017). Revisiting the role of testosterone: Are we missing something?. Reviews in urology, 19(1), 16–24. https://doi.org/10.3909/riu0716.
Welker, K. M., Norman, R. E., Goetz, S., Moreau, B. J., Kitayama, S., & Carré, J. M. (2017). Preliminary evidence that testosterone's association with aggression depends on self-construal. Hormones and Behavior, 92, 117-127. https://doi.org/10.1016/j.yhbeh.2016.10.014.
ZDF. (2024). Toxische Männlichkeit - Testosteron unter Anklage. Zdf Mediathek. Abgerufen am 16.11.2024 von: https://www.zdf.de/wissen/leschs-kosmos/toxische-maennlichkeit-testosteron-unter-anklage-102.html.
Katrin Hoster ist zertifizierte NLPlerin, Headcoach und einer der beiden Gründer der Wut Coaches. Als erfahrener Coach im Bereich Aggressionsbewältigung hat sie sich seit 2018 voll und ganz auf das Thema Wut und Aggression spezialisiert und kann auf einen großen Erfahrungsschatz mit mehreren 1000 Wut- und Aggressionsklienten zurück blicken.
Ferdinand Kirchhof ist Psychologe (M.Sc.). Er arbeitet bei den Wut Coaches als psychologischer und wissenschaftlicher Berater und seine Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Er ist der Co-Autor dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Autorin.
Kerstin Bickert ist Psychologin (B.Sc.) und Sozialpädagogin (B.A.). Sie arbeitet bei den Wut Coaches als psychologische und wissenschaftliche Beraterin und ihre Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Sie ist die Autorin dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Co-Autorin.