Dünnhäutige Menschen fahren schnell aus ihrer Haut. Doch warum ist das so und was kann man dagegen tun?
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Jeder kennt Phasen, in denen man sich dünnhäutiger fühlt. Die Frage ist, wie man mit Dünnhäutigkeit umgeht. In solchen Situationen schauen viele Menschen, welches Bedürfnis sie gerade haben und erfüllen es sich selbst. Was aber, wenn jemand ständig dünnhäutig ist und oft emotional aus der Bahn geworfen wird? Die Reaktionen können unterschiedlich sein. Einige ziehen sich dann zurück oder werden traurig. Andere werden wütend. Vielleicht steigert sich die Wut aber auch bis hin zur Aggression und es kommt zu Wutausbrüchen.
Wie das Aussehen kann? Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sind angestellt in einem Büro. Eines Morgens sagt ihre Kollegin beiläufig: „Du siehst heute müde aus.“ Sie fühlen sich schnell angegriffen, reagieren sofort gereizt: „Das ist ja typisch, immer muss jemand was Negatives sagen!“ Ohne weiteren Anlass werden sie laut und beschuldigen die Kollegin, ständig auf ihr herumzuhacken, obwohl sie nur freundlich nachfragen wollte.
In dem Beispiel konnten Sie einige Punkte wiederfinden, die charakteristisch für Dünnhäutigkeit sind. Nun fragen Sie sich aber bestimmt, was Dünnhäutigkeit eigentlich genau bedeutet? Hierzu muss gesagt werden, dass es sich bei Dünnhäutigkeit um keinen psychologischen Fachbegriff handelt. In der Psychologie durchgesetzt hat sich hier der Fachbegriff der Hochsensibilität (Aron & Aron, 1997). Aber es gibt bestimmte Eigenschaften, die man einem dünnhäutigen Menschen zuschreiben würde. Dünnhäutige Menschen reagieren sensibler auf Kritik und Meinungen. Sie fühlen sich schnell angegriffen oder verletzt, auch wenn das Gesagte nicht negativ gemeint ist. Es kann zu einer übersteigerten Reizbarkeit kommen. In Stresssituationen überreagieren sie dann oder werden aggressiv.
So gibt es viele Parallelen zwischen Dünnhäutigkeit und Hochsensibilität. Hochsensibilität geht mit der Tendenz, leicht überwältigt zu werden, einher (Drndarević et al., 2021). Außerdem kommt es schneller zu einer emotionalen und physischen Überforderung (Golonka & Gulla, 2021). Das Nervensystem wird in solchen Situationen schnell und stark aktiviert (Costa-López et al., 2021). Dies kann mit emotionaler Dysregulation einhergehen (Choi & Jung, 2021), welche sich auch in Ärger, Wut und Aggression äußern kann (Benarous et al., 2023).
Der Begriff Dünnhäutigkeit wird häufig in Bezug auf Personen verwendet, die eine psychotische Erkrankung haben. Bäuml und Lambert (2014) haben einen Psychose-Ratgeber herausgegeben. Sie beschreiben darin, dass bei psychotisch erkrankten Personen bei anhaltender Dünnhäutigkeit es in Lebenskrisen zu weiteren psychotischen Episoden kommen kann. Allerdings ist Dünnhäutigkeit kein Phänomen, welches auf psychotisch erkrankte Personen beschränkt ist. Dünnhäutigkeit muss nicht zwangsweise zu einem Ausbruch einer Psychose führen. Die Phänomene bestehen also nebeneinander. Eine Person kann dünnhäutig sein, nicht aber psychotisch. Es kann aber auch beides bei einer Person veranlagt sein. Im Weiteren wollen wir uns aber auf Dünnhäutigkeit beziehen, die nicht im Zusammenhang mit einer psychotischen Erkrankung steht.
Für Dünnhäutigkeit können unterschiedliche Ursachen verantwortlich sein. Diese unterscheiden sich von Person zu Person. Es gibt die Vermutung, dass es evolutionäre Ursachen hierfür gibt. Personen, die dünnhäutig bzw. hochsensibel sind, nehmen mehr Reize auf. Es könnte evolutionär eine hilfreiche Strategie gewesen sein, Informationen gründlicher zu verarbeiten (Aron, 2014). Man könnte zum Beispiel annehmen, dass dadurch Feinde früher erkannt werden konnten.
Nun kann es sein, dass eine Person angeboren dünnhäutiger ist. Wenn diese Person in einer Umgebung aufwächst, wo sie in ihrem Sein unterstützt wird, kann hieraus ein gesunder Umgang mit der Dünnhäutigkeit entstehen. Die Person weiß dann genau, wie sie gut auf Reize von Außen reagieren muss. Wenn die Person aber eine belastende Kindheit hat und keinen Umgang mit der Hochsensibilität lernt, kann es z.B. zu Depressionen oder Angst kommen.
Das bedeutet aber nicht, dass man den Ursachen einfach ausgeliefert ist. Einen guten Umgang mit der eigenen Dünnhäutigkeit kann man lernen. Darauf wollen wir im nächsten Abschnitt eingehen.
Ein erster Schritt ist das Schreiben eines Tagebuchs. Dies ist leicht umsetzbar und gleichzeitig effektiv. Schreiben Sie die Situationen auf, in denen Sie sich dünnhäutig fühlen. So können Sie sich gut einen Überblick verschaffen. Sie können lernen, einzuordnen, zu welchen Zeitpunkten es zu Überforderungsempfinden kommt. Vielleicht gibt es bestimmte Reize von Außen, die immer wieder zu Überregung bei Ihnen führen. Hier kann ein Tagebuch helfen, diese Situationen ausfindig zu machen. Teilweise benötigen Betroffene aber Hilfe hierüber hinaus.
Wenn Dünnhäutigkeit immer wieder zu Situationen führt, in denen Sie aggressiv reagieren, kann eine Aggressionstherapie hilfreich sein. Hier lernen Sie, wie Sie mit zwischenmenschlichen Situationen oder anderen Einflüssen von außen, die zu starken emotionalen Reaktionen führen, besser umgehen. Sie können eine verbesserte emotionale Selbstregulation erlangen und lernen, Frustrationen konstruktiv zu bewältigen. Zudem hilft die Therapie dabei, soziale Kompetenzen zu stärken und alternative Konfliktlösungsstrategien zu entwickeln, um langfristig gelassener und souveräner zu reagieren.
Dünnhäutigkeit führt oft dazu, dass Betroffene auf Kritik oder negative Rückmeldungen überempfindlich und manchmal aggressiv reagieren. Anti-Aggressionstraining kann hier ansetzen, indem es hilft, emotionale Auslöser besser zu erkennen und alternative Reaktionsweisen zu entwickeln. Das Training wurde ursprünglich für jugendliche Straftäter konzipiert. Im Training sollen die Betroffenen lernen, ihre Aggression kontrolliert auszudrücken. Außerdem werden die Fähigkeiten der Teilnehmenden zur Einschätzung und Vermeidung von Situationen trainiert, die Aggression auslösen. Auch unterschiedliche körperliche Symptome sollen kennengelernt werden. Diese können dann als hilfreiche Frühwarnzeichen für Aggression fungieren.
Wenn es durch die Dünnhäutigkeit immer wieder zu impulsiven, aggressiven Ausbrüchen kommt, können Methoden helfen, mit denen die Impulsivität besser kontrolliert werden kann. Hier können vor allem Entspannungstechniken hilfreich sein. Hierzu zählen z.B. Yoga (Kerekes et al., 2017) oder Meditation (Kozasa et al., 2012). Durch diese Methoden kann Stress reduziert werden.
Wenn bei Ihnen eine Impulskontrollstörung vorliegt, sollten Sie sich professionelle Hilfe suchen. Bei dieser psychischen Erkrankung verlieren die Betroffenen regelmäßig die Kontrolle über ihr Handeln (Schreiber et al., 2011). Dies geschieht fast automatisch und wird von starken negativen Gefühlen begleitet (Stein et al., 1993). Hier kann eine kognitive Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie hilfreich sein.
In diesem Artikel haben wir uns mit den Ursachen und Bewältigungsstrategien für emotionale Dünnhäutigkeit beschäftigt. Dünnhäutige Personen fühlen sich schnell angegriffen und können in Stresssituationen überreagieren. Dies kann zu Aggression oder Rückzug führen. Dünnhäutigkeit wird oft mit Hochsensibilität in Verbindung gebracht, bei der das Nervensystem stark aktiviert ist. Eine mögliche Folge: emotionale Dysregulation. Die Ursachen können genetisch bedingt sein und durch Kindheitserfahrungen beeinflusst werden.
Der wichtigste Punkt! Man kann einen Umgang mit Dünnhäutigkeit finden. Hier gibt es mehrere Methoden, die helfen können: Das Führen eines Tagebuchs, Aggressionstherapie und Anti-Aggressionstraining können helfen, emotionalen Stress und Impulsivität zu identifizieren und zu kontrollieren. Entspannungstechniken wie Yoga und Meditation tragen zur Stressreduktion bei. Bei schweren Fällen, wie Impulskontrollstörungen, wird professionelle Hilfe durch Psychotherapie empfohlen.
Aron, E. N., & Aron, A. (1997). Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. Journal of personality and social psychology, 73(2), 345.
Aron, E. N. (2014). Hochsensible Menschen in der Psychotherapie. Junfermann Verlag, Paderborn.
Bäuml, J., & Lambert, M. (2014). Psychosen erkennen, verstehen und behandeln - Ein Wegbegleiter für Betroffene und Angehörige. Herausgegeben vom Verlag für Didaktik in der Medizin GmbH.
Benarous, X., Guilé, J. M., Cravero, C., Ferrafiat, V., Marianna, G., & Cohen, D. (2022). Sensory Processing Dysfunction in Youths with Chronic Anger and Aggression. Handbook of Anger, Aggression, and Violence, 1-23. https://doi.org/10.1007/978-3-030-98711-4_165-1.
Choi, Y. E., & Jung, H. (2021). Sensory processing as a predictor of leisure participation in early adolescents. Children, 8(11), 1005. https://doi.org/10.3390/children8111005.
Costa-López, B., Ferrer-Cascales, R., Ruiz-Robledillo, N., Albaladejo-Blazquez, N., & Baryła-Matejczuk, M. (2021). Relationship between sensory processing and quality of life: A systematic review. Journal of clinical medicine, 10(17), 3961. https://doi.org/10.3390/jcm10173961.
Drndarević, N., Protić, S., & Mestre, J. M. (2021). Sensory-Processing Sensitivity and Pathways to Depression and Aggression: The Mediating Role of Trait Emotional Intelligence and Decision-Making Style—A Pilot Study. International journal of environmental research and public health, 18(24), 13202. https://doi.org/10.3390/ijerph182413202.
Golonka, K., & Gulla, B. (2021). Individual differences and susceptibility to burnout syndrome: Sensory processing sensitivity and its relation to exhaustion and disengagement. Frontiers in psychology, 12, 751350. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.751350.
Kerekes, N., Fielding, C., & Apelqvist, S. (2017). Yoga in correctional settings: A randomized controlled study. Frontiers in Psychiatry, 8, 204. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2017.00204.
Kozasa, E. H., Sato, J. R., Lacerda, S. S., Barreiros, M. A., Radvany, J., Russell, T. A., ... & Amaro Jr, E. (2012). Meditation training increases brain efficiency in an attention task. Neuroimage, 59(1), 745-749. https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2011.06.088.
Schreiber, L., Odlaug, B. L., & Grant, J. E. (2011). Impulse control disorders: updated review of clinical characteristics and pharmacological management. Frontiers in psychiatry, 2, 1-11. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2011.00001.
Stein, D. J., Hollander, E., & Liebowitz, M. R. (1993). Neurobiology of impulsivity and the impulse control disorders. The Journal of neuropsychiatry and clinical neurosciences, 5(1), 9–17. https://doi.org/10.1176/jnp.5.1.9.
Katrin Hoster ist zertifizierte NLPlerin, Headcoach und einer der beiden Gründer der Wut Coaches. Als erfahrener Coach im Bereich Aggressionsbewältigung hat sie sich seit 2018 voll und ganz auf das Thema Wut und Aggression spezialisiert und kann auf einen großen Erfahrungsschatz mit mehreren 1000 Wut- und Aggressionsklienten zurück blicken.
Ferdinand Kirchhof ist Psychologe (M.Sc.). Er arbeitet bei den Wut Coaches als psychologischer und wissenschaftlicher Berater und seine Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Er ist der Co-Autor dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Autorin.
Kerstin Bickert ist Psychologin (B.Sc.) und Sozialpädagogin (B.A.). Sie arbeitet bei den Wut Coaches als psychologische und wissenschaftliche Beraterin und ihre Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Sie ist die Autorin dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Co-Autorin.