Erfahre hier alles rund um die affektive Dysregulation. Von den Symptomen bis hin zur Behandlung bei Jugendlichen und Erwachsenen
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Bei der affektiven Dysregulation handelt es sich um eine psychische Störung des Kinder- und Jugendalters (Bruno et al., 2019). Diese Erkrankung kann bei ausbleibender Behandlung auch Auswirkungen auf das Erwachsenenalter haben. Stellen Sie sich folgende Situation vor. Ein 9 Jahre alter Junge hat in den letzten Monaten zunehmend Schwierigkeiten, seine Wut und Aggressionen zu kontrollieren. An vielen Tagen, besonders in der Schule und zu Hause, ist er extrem reizbar und schlecht gelaunt. Oft ist er schon bei kleinen Enttäuschungen oder Frustrationen sofort aufgebracht, etwa wenn seine Freunde beim Spielen eine andere Entscheidung treffen oder wenn er zu Hause seine Hausaufgaben machen soll.
Eines Tages, als er in der Schule nach einer Gruppenarbeit einen Fehler gemacht hat und sein Lehrer ihm ein paar Hinweise zur Verbesserung gab, platzt es plötzlich wutentbrannt heraus. Er schreit den Lehrer an: „Du bist unfair! Das ist alles deine Schuld!“, und schmeißt seinen Stift auf den Tisch. Als sein Lehrer versuchte, ihn zu beruhigen, stürmte er wütend aus dem Klassenzimmer und schrie, dass er „nie wieder zur Schule kommen wolle“. Zu Hause wird er von seinen Eltern mit seinem Verhalten konfrontiert. Er schreit sofort los, schlägt mit der Faust auf den Tisch und schreit: „Ihr seid gemein, ich hasse euch!“, und er schubst seinen kleinen Bruder. Danach geht er in sein Zimmer und verweigert jegliche Kommunikation.
Im Fallbeispiel haben Sie bereits gesehen, wie sich eine affektive Dysregulation zeigen kann. Nun wollen wir aber genauer darauf eingehen, was man unter einer affektiven Dysregulation versteht. Wie schon genannt, handelt es sich um eine psychische Störung des Kinder- und Jugendalters. Es handelt sich um eine Diagnose aus dem DSM-5. Beim DSM-5 handelt es sich um das Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen. Es wird hauptsächlich in den USA angewendet. Im Englischen heißt die Erkrankung “Disruptive Mood Dysregulation Disorder (DMDD)“, übersetzt disruptive Affektregulationsstörung bzw. affektive Dysregulation. Diese Störung gehört zur Kategorie der depressiven Störungen (Bruno et al., 2019). Es gibt viele diagnostische Überschneidungen zu anderen psychischen Störungen, wie zu ADHS (Carlson & Pataki, 2015), Störung des Sozialverhaltens, Impulskontrollstörung, Oppositionelle Verhaltensstörung, Depressionen, bipolare Störung, Angststörungen. Ausstehend ist aktuell die Forschung an der Frage, ob DMDD im Erwachsenenalter zu einer Antisozialen oder Borderline Persönlichkeitsstörung führen kann (Benarous et al., 2017). Schauen wir uns nun aber an, welche Symptome für die Diagnose einer affektiven Dysregulation wichtig sind.
Im DSM-5 wurden elf Kriterien festgelegt, die für die Diagnose der affektiven Dysregulation nötig sind (Bruno et al., 2019). Wichtig ist, dass die Diagnose nicht vor dem Alter von 6 Jahren oder nach 18 Jahren gestellt wird. Es kommt zu schweren, wiederkehrenden Wutausbrüchen. Diese zeigen sich verbal und/oder im Verhalten. Sie stehen in Intensität oder Dauer in keinem Verhältnis zu der Situation oder dem Anlass. Die Ausbrüche sind nicht mit dem Entwicklungsstand vereinbar. Sie treten drei oder mehr Mal pro Woche auf. Die Stimmung zwischen den Wutausbrüchen ist die meiste Zeit des Tages von anhaltender Reizbarkeit geprägt. Die Symptome treten in mindestens zwei von drei Situationen auf (zu Hause, in der Schule, bei Gleichaltrigen) und sind in mindestens einer Situation schwerwiegend. Außerdem sollten bestimmte andere körperlichen und psychischen Diagnosen ausgeschlossen werden.
Es existiert aktuell kein psychologischer Test, der die Störung der affektiven Dysregulation (DMDD) diagnostiziert. Allerdings wurde versucht, bereits existierende semistrukturierte Interviews auf die DMDD anzupassen. Hierzu wurden das ChIPS (Children’s Interview for Psychiatric Syndromes) und der MINI-KID (Mini-International Neuropsychiatric Interview for Children and Adolescents) verwendet. Es fehlt hierdurch aber die Abbildung von wichtigen Kriterien der DMDD (McTate & Leffler, 2017).
Als eine Ursache der affektiven Dysregulation werden genetische Komponenten erforscht. Hier konnte festgestellt werden, dass gerade phasische Reizbarkeit stabiler und vererbbarer zu sein scheint, als tonische Reizbarkeit. Zu phasischer Reizbarkeit werden in der Forschung z.B. Wutausbrüche gezählt. Tonische Reizbarkeit ist z.B. eine gereizte Stimmung (Moore, et al., 2019).
Neben genetischen Faktoren scheinen Umwelterfahrungen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von DMDD zu spielen. Wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Umfeld (z. B. Mobbing, Erziehung) eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Reizbarkeit spielt (Barker & Salekin, 2012; Lipscomb et al., 2011; Perepletchikova et al., 2017). Dieser Punkt ist auch wichtig für die Behandlung. Ziel kann es sein, Jugendlichen beizubringen, ihre emotionalen Reaktionen auf solche Umweltfaktoren zu steuern und zu regulieren.
Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) hat sich bei Patienten mit DMDD wirksam gezeigt (Linke et al., 2020; Tudor et al., 2016). Hier wird versucht mit bestimmten Techniken das Verhalten so zu modifizieren. Dazu werden unterschiedliche verhaltenstherapeutische Methoden eingesetzt. Häufig gehören dazu z.B. Veränderung von Kognitionen, Entspannungstechniken und Rollenspiele (Beck & Fernandez, 1998). Darüber hinaus haben einige Forscher Daten zu einer neuartigen expositionsbasierten kognitiven Verhaltenstherapie für schwere Reizbarkeit vorgelegt (Perepletchikova et al., 2017).
Hierbei handelt es sich um eine bestimmte Form der kognitiven Verhaltenstherapie. Die Dialektisch-Behaviorale Therapie ist eine empirisch validierte Therapie zur Behandlung von Emotionsdysregulation, suizidalen Gedanken und Verhaltensweisen sowie nicht-suizidaler Selbstverletzung (NSSI). Vor allem wird sie zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung angewendet, wobei sie mittlerweile für verschiedene weitere Störungsbilder weiterentwickelt wurde. DBT vermittelt Bewältigungs- und Problemlösungsfähigkeiten in einem validierenden Umfeld (Perepletchikova et al., 2017).
Es gibt aktuell keine Leitlinien für die Behandlung der DMDD. Allerdings ist die pharmakologische Therapie der Kernsymptome der DMDD möglich. Diese können auf schwere chronische Reizbarkeit und Wutausbrüche abzielen. Es kommen Psychostimulanzien und Antidepressiva zum Einsatz, vor allem selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) (Tourian et al., 2015).
Zum einen ist die Vermittlung von Erziehungstechniken wie z.B. Verstärkung, Löschung, Bestrafung und Formung hilfreich. Aber vor allem wirksam ist Elterntraining dazu, wie (Dretzke et al., 2009; Sukhodolsky et al., 2016):
Affektive Dysregulation, auch als Disruptive Mood Dysregulation Disorder (DMDD) bekannt, ist eine psychische Störung, die häufig im Kindes- und Jugendalter auftritt. Sie kann aber auch Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter haben Sie äußert sich in wiederholten, schweren Wutausbrüchen. Diese sind oft unangemessen zur Situation. Häufig tritt zusätzlich anhaltender Reizbarkeit auf. Mögliche Ursachen sind genetische Faktoren und Umwelteinflüsse wie Erziehung oder Mobbing. Die Behandlung kann kognitive Verhaltenstherapie, dialektisch-behaviorale Therapie, medikamentöse Ansätze sowie Elterntrainings umfassen.
Barker, E.D., & Salekin, R.T. (2012). Irritable oppositional defiance and callous unemotional traits: Is the association partially explained by peer victimization? Journal of Child Psychology and Psychiatry, and Allied Disciplines, 53, 1167–1175. https://doi.org/10.1111/j.1469-7610.2012.02579.x.
Beck, R., & Fernandez, E. (1998). Cognitive-behavioral therapy in the treatment of anger: A meta-analysis. Cognitive therapy and research, 22(1), 63-74. https://doi.org/10.1023/A:1018763902991.
Benarous, X., Consoli, A., Guilé, JM. et al. Evidence-based treatments for youths with severely dysregulated mood: a qualitative systematic review of trials for SMD and DMDD. Eur Child Adolesc Psychiatry 26, 5–23 (2017). https://doi.org/10.1007/s00787-016-0907-5.
Bruno, A., Celebre, L., Torre, G., Pandolfo, G., Mento, C., Cedro, C., ... & Muscatello, M. R. A. (2019). Focus on Disruptive Mood Dysregulation Disorder: A review of the literature. Psychiatry research, 279, 323-330. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2019.05.043.
Carlson, G. A., & Pataki, C. (2016). Disruptive Mood Dysregulation Disorder Among Children and Adolescents. Focus (American Psychiatric Publishing), 14(1), 20–25. https://doi.org/10.1176/appi.focus.20150039.
Dretzke, J., Davenport, C., Frew, E., Barlow, J., Stewart-Brown, S., Bayliss, S., ... & Hyde, C. (2009). The clinical effectiveness of different parenting programmes for children with conduct problems: a systematic review of randomised controlled trials. Child and adolescent psychiatry and mental health, 3, 1-10. https://doi.org/10.1186/1753-2000-3-7.
Linke, Julia, Kircanski, Katharina, Brooks, Julia, Perhamus, Gretchen, Gold, Andrea L, & Brotman, Melissa A. (2020). Exposure-Based Cognitive- Behavioral Therapy for Disruptive Mood Dysregulation Disorder: An Evidence-Based Case Study. Behavior Therapy, 51(2), 320–333. https://doi.org/10.1016/j.beth.2019.05.007.
Lipscomb, S.T., Leve, L.D., Harold, G.T., Neiderhiser, J.M., Shaw, D.S., Ge, X., & Reiss, D. (2011). Trajectories of parenting and child negative emotionality during infancy and toddlerhood: A longitudinal analysis. Child Development, 82, 1661–1675. doi: 10.1111/j.1467-8624.2011.01639.x.
McTate, E. A., & Leffler, J. M. (2017). Diagnosing disruptive mood dysregulation disorder: Integrating semi-structured and unstructured interviews. Clinical child psychology and psychiatry, 22(2), 187-203. https://doi.org/10.1177/1359104516658190.
Moore, A. A., Lapato, D. M., Brotman, M. A., Leibenluft, E., Aggen, S. H., Hettema, J. M., ... & Roberson‐Nay, R. (2019). Heritability, stability, and prevalence of tonic and phasic irritability as indicators of disruptive mood dysregulation disorder. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 60(9), 1032-1041. https://doi.org/10.1111/jcpp.13062.
Perepletchikova, F., Nathanson, D., Axelrod, S.R., Merrill, C., Walker, A., Grossman, M., … & Walkup, J. (2017). Randomized clinical trial of dialectical behavior therapy for preadolescent children with disruptive mood dysregulation disorder: Feasibility and outcomes. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 56, 832–840. https://doi.org/10.1016/j.jaac.2017.07.789.
Sukhodolsky, D. G., Smith, S. D., McCauley, S. A., Ibrahim, K., & Piasecka, J. B. (2016). Behavioral interventions for anger, irritability, and aggression in children and adolescents. Journal of child and adolescent psychopharmacology, 26(1), 58-64. https://doi.org/10.1089/cap.2015.0120.
Tourian, L., LeBoeuf, A., Breton, J. J., Cohen, D., Gignac, M., Labelle, R., ... & Renaud, J. (2015). Treatment options for the cardinal symptoms of disruptive mood dysregulation disorder. Journal of the Canadian Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 24(1), 41.
Tudor, M. E., Ibrahim, K., Bertschinger, E., Piasecka, J., & Sukhodolsky, D. G. (2016). Cognitive-behavioral therapy for a 9-year-old girl with disruptive mood dysregulation disorder. Clinical Case Studies, 15(6), 459-475. https://doi.org/10.1177/1534650116669431.
Katrin Hoster ist zertifizierte NLPlerin, Headcoach und einer der beiden Gründer der Wut Coaches. Als erfahrener Coach im Bereich Aggressionsbewältigung hat sie sich seit 2018 voll und ganz auf das Thema Wut und Aggression spezialisiert und kann auf einen großen Erfahrungsschatz mit mehreren 1000 Wut- und Aggressionsklienten zurück blicken.
Ferdinand Kirchhof ist Psychologe (M.Sc.). Er arbeitet bei den Wut Coaches als psychologischer und wissenschaftlicher Berater und seine Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Er ist der Co-Autor dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Autorin.
Kerstin Bickert ist Psychologin (B.Sc.) und Sozialpädagogin (B.A.). Sie arbeitet bei den Wut Coaches als psychologische und wissenschaftliche Beraterin und ihre Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Sie ist die Autorin dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Co-Autorin.