Welchen Einfluss haben Kindheitserfahrungen auf das Verhalten im Erwachsenenalter? In diesem Artikel finden Sie Ursachen und Methoden zur Selbsthilfe für sogenannte Choleriker.
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Die Wut Coaches:
Dipl. Ing. Katrin Hoster
Wut Coach Merlin Faude
Dr. Med. Heidrun Schuler
Psychologe Ferdinand Kirchhof
Spätestens dann, wenn man sich dabei erwischt, besonders aufzupassen, was man sagt und die kleinste Streitigkeit zu einem Wutausbruch führen kann: Man dankt, man habe es mit einem Choleriker zu tun. Fast jeder trifft in seinem Leben den ein oder anderen Menschen, dem man cholerische Verhaltensweisen zuschreibt. Sie würden schnell an die Decke gehen und seien schwer zu beruhigen, wenn sie erst einmal wütend sind.
Wichtig: hierbei ist zu beachten, dass aus wissenschaftlicher Perspektive das Konzept des Cholerikers als verdrängt gilt. Es wird in der aktuellen Persönlichkeitspsychologie und für die Klassifikation von psychischen Erkrankungen nicht herangezogen (Dammeyer, & Zettler, 2018). Viele Menschen verwenden diesen Begriff trotzdem. Der Begriff ist Teil der Alltagspsychologie (Asendorpf, & Neyer, 2018). Unter diesen Bereich der Psychologie fallen allgemein verbreitete Vorstellungen und gewöhnliche Erklärungsweisen, um das Handeln und Erleben des Menschen darzustellen, zu verstehen und vorherzusagen und ist damit von der Psychologie als Wissenschaft zu unterscheiden (Asendorpf, 1999).
Trotzdem fragen sich viele Menschen, was der Grund dafür sei, wie Menschen sogenannte Choleriker werden? Gibt es Ursachen in der Kindheit, die dazu beitragen, dass jemand im Erwachsenenalter sogenannt cholerisch wird? Diese Fragen klären wir im heutigen Artikel.
Mehr zum Thema Choleriker finden Sie in unserem Artikel: “Was ist ein Choleriker?”
Oft werden sogenannte Choleriker als reizbar, unberechenbar oder ungestüm beschrieben. Wichtig ist hierbei, dass diese Verhaltensweisen nicht wissenschaftlich hergeleitet sind, sondern aus einem Konzept aus der antiken Medizin stammen. Es wurde angenommen, dass bestimmte Körpersäfte mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammenhängen würden. Allerdings hat die antike Medizin keine wissenschaftliche Forschung zu Zusammenhängen zwischen Körpersäften und Persönlichkeitsmerkmalen betrieben (Ashton, 2023). Trotzdem gibt es annahmen, wie sich ein sogenannter Choleriker verhalte. Sie sollen durch ihr impulsives Verhalten auffallen und seien häufig ungeduldig. Besonders belastend sei es, mit einem Choleriker in der eigenen Familie. Manche Menschen kennen in ihrem Umfeld jemanden, der mit regelmäßigen Wutausbrüchen zu kämpfen hat. Sie kennen auch die Tragweite, die ein sogenanntes cholerisches Verhalten auf das eigene Umfeld haben könne.
Konflikte und Streitigkeiten sind eigentlich in jedem Haushalt normal und gehören zum Alltag (Juang et al., 2012). Durch einen gesunden Umgang mit Meinungsverschiedenheiten können sie sogar zu einem Lernfeld für alle Beteiligten werden. Beim Zusammenleben mit jemandem, der häufig Wutausbrüche hat, kann dies belastend sein (Müller-Vahl et al., 2020).
Erfahren Sie mehr über das Verhalten von Cholerikern im Wut-Coaches-Podcast!
Es gibt mehrere Annahmen, welche Ursachen sogenanntes cholerisches Verhalten habe. Da es sich bei cholerischem Verhalten um kein wissenschaftliches Konzept handelt, gibt es keine Forschung zu den Ursachen. Trotzdem gibt es Faktoren, die Einfluss auf das Konfliktverhalten von Menschen haben können. Darunter fallen genetische, biologische, kulturelle und soziale Einflüsse, die prägend sein können und dazu beitragen können, dass jemand im Laufe seines Lebens eher zu aggressivem Verhalten neigt. Häufig kann das Verhalten, das bei solchen Personen beobachtet wird, dann im Volksmund als cholerisch bezeichnet werden.
Die kulturellen und sozialen Umstände im Leben eines Menschen können Ursachen für Unterschiede im Verhalten darstellen (Pérusse et al., 1994). Faktoren wie chronischer Stress (Norlander, & Eckhardt, 2005), ein geringes Selbstwertgefühl (Stefanile et al., 2021), Überforderung im Job (Spector et al., 2006) oder Krisen in Beziehungen bei der Arbeit (Hershcovis et al., 2007) können ebenfalls dazu beitragen, dass Betroffene zu aggressiven Verhaltensweisen neigen.
Mehr zu diesem Thema finden sie in unserem Artikel: “Was ist Aggression?”
Eine Tendenz zu aggressiven und impulsiven Verhaltensweisen kann also durch verschiedene äußere Faktoren in der Umwelt von Betroffenen beeinflusst werden. Neben Umweltfaktoren scheinen aber auch genetische Faktoren einen Einfluss zu haben (Moffitt, 2005).
Aber was passiert eigentlich im Gehirn bei Personen mit aggressivem oder antisozialem Verhalten? - Hierzu konnte zum Beispiel festgestellt werden, dass bei der Messung von Gehirnwellen mithilfe eines EEG (Elektroenzephalografie), geringere Aktivität von bestimmten Wellen festgestellt wurde. Geringere Aktivität dieses bestimmten Wellentyps (Alpha-Wellen) ist dabei ein Faktor, der zu Verhalten führt, das eher nach außen verlagert wird. Das Verhalten wird dabei nach außen verlagert, um ein höheres, optimaleres Level der Gehirnaktivität zu haben (Veroude et al., 2015).
Auch Gene können die Regulation von bestimmten Neurotransmittern im Gehirn beeinflussen. Dies kann ebenfalls zu einer Beeinträchtigung der emotionalen Regulation führen, was sich in impulsivem und aggressivem Verhalten äußern kann.
Die Kindheit hat häufig einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit und Charaktereigenschaften von Personen (Shiner, & Caspi, 2002). Bei Personen mit einem unsicheren Bindungsstil in ihrer Kindheit konnte vermehrt aggressives Verhalten festgestellt werden, wenn sie erwachsen waren (Loeber, & Hay, 1997). Ein unsicherer Bindungsstil kann entstehen, wenn die Bezugsperson in der Kindheit z.B. nicht verfügbar war oder dem Kind keinen “sicheren Hafen” gegeben hat.
Auch traumatische Erfahrungen können das Verhalten beeinflussen. Sie können dazu führen, dass sich bestimmte Verhaltensmuster im Erwachsenenalter manifestieren (Downey, & Crummy, 2022). Das heißt aber nicht, dass alle aggressiven oder als Choleriker bezeichneten Personen eine traumatische Kindheit erlebt haben.
Erfahren Sie mehr über dieses Thema im Wut-Coaches-Podcast!
Sogenannte Choleriker, die ihr Verhalten verbessern möchten, können auf verschiedenen Wegen eine sogenannte Aggressionsbewältigung lernen. Einige dieser Möglichkeiten finden Sie hier:
Innere Anspannung kann eine Ursache für aggressives Verhalten sein. Aus diesem Grund können Übungen zur Entspannung, wie Yoga (Hagen et al., 2021) oder progressive Muskelentspannung (Nickel et al., 2005), ein guter Schritt sein, um innere Anspannung zu verringern. Auch das Praktizieren von Meditation oder Achtsamkeitsübungen kann zu mehr innerer Ruhe beitragen (Linden, 1994).
Psychotherapeutische Ansätze können hilfreich sein, negative Denkmuster aufzubrechen und neue, konstruktive Verhaltensmuster zu erlernen. In diesem Fall können verschiedene Therapieformen dazu beitragen, die Ursachen für das aggressive Verhalten, welches im Volksmund teilweise als cholerisch bezeichnet wird, aufzuarbeiten. Es gibt allerdings Wartezeiten für einen Therapieplatz.
Wichtig!
Sogenannte Choleriker können mit etwas Einsatz lernen, wie sie ihr aggressives Verhalten und Wutausbrüche in den Griff bekommen. Hierzu eignen sich spezielle Coachings, die sich nur auf Aggression und cholerisches Verhalten konzentrieren. Sie können Betroffene dabei unterstützen, ihre Emotionen zu regulieren und ihnen Methoden an die Hand geben, um aggressive Verhaltensmuster zu erkennen.
Erfahren Sie mehr über Wut-Coaching im Wut-Coaches-Podcast!
Asendorpf, J.B. (1999). Von der Alltagspsychologie zur Persönlichkeitspsychologie. In: Psychologie der Persönlichkeit. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-09573-7_1
Asendorpf, J.B., & Neyer, F. J. (2018). Sechs Paradigmen der Persönlichkeitspsychologie. In: Psychologie der Persönlichkeit. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54942-1_2
Ashton, M. C. (2023). Biological Bases of Personality. In Individual Differences and Personality (S. 111-129). Academic Press. https://doi.org/10.1016/B978-0-323-85950-9.00007-8
Dammeyer, J. & Zettler, I. (2018). A Brief Historical Overview on Links Between Personality and Health. In Personality and Disease (S. 1–16). Academic Press. Christoffer Johansen. https://doi.org/10.1016/b978-0-12-805300-3.00001-3
Downey, C., & Crummy, A. (2022). The impact of childhood trauma on children's wellbeing and adult behavior. European Journal of Trauma & Dissociation, 6(1), 100237. https://doi.org/10.1016/j.ejtd.2021.100237
Hagen, I., Skjelstad, S. & Nayar, U. S. (2021). “I Just Find It Easier to Let Go of Anger”: Reflections on the Ways in Which Yoga Influences How Young People Manage Their Emotions. Frontiers in Psychology, 12. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.729588
Hershcovis, M. S., Turner, N., Barling, J., Arnold, K. A., Dupré, K. E., Inness, M., LeBlanc, M. M., & Sivanathan, N. (2007). Predicting workplace aggression: A meta-analysis. Journal of Applied Psychology, 92(1), 228–238. https://doi.org/10.1037/0021-9010.92.1.228
Juang, L. P., Syed, M., Cookston, J. T., Wang, Y., & Kim, S. Y. (2012). Acculturation-based and everyday family conflict in Chinese American Families. In L. P. Juang & A. J. Umaña-Taylor (Eds.), Family conflict among Chinese- and Mexican-origin adolescents and their parents in the U.S. New Directions for Child and Adolescent Development, 135, 13–34. https://doi.org/10.1002/cd.20002
Linden, W. (1994). Autogenic Training: A narrative and quantitative review of clinical outcome. Biofeedback and self-regulation, 19(3), 227–264. https://doi.org/10.1007/bf01721069
Loeber, R., & Hay, D. (1997). Key issues in the development of aggression and violence from childhood to early adulthood. Annual Review of Psychology, 48(1), 371–410. https://doi.org/10.1146/annurev.psych.48.1.371
McDermott, R., Tingley, D., Cowden, J., Frazzetto, G., & Johnson, D. D. (2009). Monoamine oxidase A gene (MAOA) predicts behavioral aggression following provocation. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 106(7), 2118–2123. https://doi.org/10.1073/pnas.0808376106
Moffitt, T. E. (2005). The New Look of Behavioral Genetics in Developmental Psychopathology: Gene-Environment Interplay in Antisocial Behaviors. Psychological Bulletin, 131(4), 533–554. https://doi.org/10.1037/0033-2909.131.4.533
Müller-Vahl, K. R., Kayser, L., Pisarenko, A., Haas, M., Psathakis, N., Palm, L., & Jakubovski, E. (2020). The Rage Attack Questionnaire-Revised (RAQ-R): Assessing Rage Attacks in Adults With Tourette Syndrome. Frontiers in Psychiatry, 20, 1-9. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2019.00956
Nickel, C., Lahmann, C., Tritt, K., Loew, T.H., Rother, W.K. and Nickel, M.K. (2005), Stressed aggressive adolescents benefit from progressive muscle relaxation: A random, prospective, controlled trial. Stress and Health, 21: 169-175. https://doi.org/10.1002/smi.1050
Norlander, B., & Eckhardt, C. (2005). Anger, hostility, and male perpetrators of intimate partner violence: A meta-analytic review. Clinical Psychology Review, 25(2), 119-152. https://doi.org/10.1016/j.cpr.2004.10.001
Pérusse, D., Neale, M. C., Heath, A. C., & Eaves, L. J. (1994). Human parental behavior: Evidence for genetic influence and potential implications for gene– culture transmission. Behavior Genetics, 24, 327–336. https://doi.org/10.1007/BF01067533
Shiner, R., & Caspi, A. (2003). Personality differences in childhood and adolescence: Measurement, development, and consequences. Journal of child psychology and psychiatry, 44(1), 2-32. https://doi.org/10.1111/1469-7610.00101
Stefanile, C., Matera, C., Nerini, A., Puddu, L., & Raffagnino, R. (2021). Psychological predictors of aggressive behavior among men and women. Journal of interpersonal violence, 36(1-2), NP920-NP941. https://doi.org/10.1177/0886260517737553
Spector, P. E., Fox, S., & Domagalski, T. (2006). Emotions, violence and counterproductive work behavior. Handbook of workplace violence, 29, 46. DOI:10.4135/9781412976947.n3
Veroude, K., Zhang-James, Y., Fernàndez-Castillo, N., Bakker, M. J., Cormand, B., & Faraone, S. V. (2016). Genetics of aggressive behavior: An overview. American journal of medical genetics. Part B, Neuropsychiatric genetics: the official publication of the International Society of Psychiatric Genetics, 171B(1), 3–43. https://doi.org/10.1002/ajmg.b.32364
Katrin Hoster ist zertifizierte NLPlerin, Headcoach und einer der beiden Gründer der Wut Coaches. Als erfahrener Coach im Bereich Aggressionsbewältigung hat sie sich seit 2018 voll und ganz auf das Thema Wut und Aggression spezialisiert und kann auf einen großen Erfahrungsschatz mit mehreren 1000 Wut- und Aggressionsklienten zurück blicken.
Ferdinand Kirchhof ist Psychologe (M.Sc.). Er arbeitet bei den Wut Coaches als psychologischer und wissenschaftlicher Berater und seine Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Er ist der Co-Autor dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Autorin.
Kerstin Bickert ist Psychologin (B.Sc.) und Sozialpädagogin (B.A.). Sie arbeitet bei den Wut Coaches als psychologische und wissenschaftliche Beraterin und ihre Expertise fließt sowohl in unser Coaching als auch in unsere Veröffentlichungen. Sie ist die Autorin dieses Artikels, zusammen mit Katrin Hoster als Co-Autorin.